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Dem Vorbild Genscher gefolgt

Christopher Ziedler
  • Mo, 25. April 2022
    Deutschland

     

Bijan Djir-Sarai, einst Flüchtlingskind, ist jetzt FDP-Generalsekretär.

Hat große Pläne: Bijan Djir-Sarai, neu...etär spricht beim FDP-Bundesparteitag.  | Foto: Michael Kappeler (dpa)
Hat große Pläne: Bijan Djir-Sarai, neuer FDP-Generalsekretär spricht beim FDP-Bundesparteitag. Foto: Michael Kappeler (dpa)
Das Aprilwetter, das binnen Minuten aus Sonnenschein Regen werden lässt, hält ihn nicht auf. Bijan Djir-Sarai will trotzdem eine Runde an der frischen Luft drehen, sagte er mit der rheinländisch-frohnatürlichen Überzeugung, dass es wieder aufklaren wird. Also geht es nicht zurück in sein Büro schräg gegenüber dem Reichstagsgebäude, sondern an die Spree.

Der 45-Jährige redet über den irrwitzigen Takt, den der politische Betrieb gerade vorgibt – Russland, Ukraine, Krieg, Energiepreise, Corona. Und er mittendrin als Generalsekretär einer frisch an die Macht gekommenen Regierungspartei in einem Deutschland, dem gerade täglich neue Gewissheiten abhandenkommen. Mit 89 Prozent Zustimmung ist er nun am Wochenende beim FDP-Bundesparteitag gewählt worden; praktisch aber amtiert er schon eine ganze Weile, da Vorgänger Volker Wissing längst ins Verkehrsministerium eingezogen ist.

Bijan Djir-Sarai zeigt auf den bronzefarbenen Streifen, der auf der Uferpromenade in den Boden eingelassen ist: "Wir stehen genau da, wo die Mauer verlaufen ist." Der Abgeordnete war 13 und erst zwei Jahre in Deutschland, als sie fiel. Noch war vieles neu, aber dass da etwas Großes passiert, war dem Teenager aus dem Iran klar. "Ich kannte damals in so jungen Jahren die Hintergründe natürlich nicht in allen Details, aber ich begriff, dass mit der DDR eine Diktatur zu Fall gebracht wurde", erzählt Djir-Sarai. "Für jemanden, der selbst in einer Diktatur gelebt hat, gibt es nichts Schöneres." Als er auf seine Kindheit in Teheran zu sprechen kommt, ist da "ein Schmerz, der niemals ganz weggeht". Auf einer eher politischen Ebene trauert er dem nach, was durch die islamische Revolution 1979 an Aufklärung und Freiheit verloren ging, eine Entwicklung, die er ähnlich in Afghanistan beobachtet: "Mir kommen die Tränen, wenn ich Bilder aus Teheran oder Kabul in den Sechzigern sehe, wie sich unverschleierte Frauen damals ganz selbstverständlich über den Universitätscampus bewegten – ich hoffe sehr, dass das nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft ist."

Im Kopf tauchen Bilder vom ersten Schultag auf, an einer Schule, in der Lehrer in erster Linie Revolutionswächter waren und der Direktor sie mit Maschinengewehr in der Hand grüßte. Der Iran stand im ersten Golfkrieg dem Irak gegenüber und schon die Kinder wurden dafür rekrutiert. "Häufig kamen Soldaten in unsere Klasse und warben dafür, mit ihnen an die Front zu gehen und zum Märtyrer zu werden", erinnert sich Bijan Djir-Sarai, "einmal hatten sie sogar angebliche Schlüssel fürs Paradies dabei, die sie uns schenkten." Er durchschaute die Sache: "Leider war das nicht bei allen meiner Mitschüler der Fall."

Vor allem die Bombennächte in Teheran haben ihn lange nicht losgelassen. An seinem ersten Silvester in Grevenbroich bei Neuss, wohin ihn die Eltern 1987 in die sichere Obhut des in Deutschland lebenden Onkels gegeben hatten, erschrickt Bijan fast zu Tode. Es dauert, bis ihn Böller nicht mehr ängstigen. Er beißt sich trotz anfänglicher Sprachprobleme am Gymnasium durch, studiert nach dem Abitur Betriebswirtschaftslehre in Köln, heiratet und wird Vater. Der Iran, wo die Eltern immer noch leben, ist weit weg. "Irgendwann hatte ich nur noch die Sorge, dass meine Kinder Frieden und Freiheit als zu selbstverständlich erachten und sich nicht dafür engagieren."

Genau in diesem Augenblick ist das große weiße Zelt vor dem Berliner Hauptbahnhof zu sehen, in dem Flüchtlinge aus der Ukraine willkommengeheißen werden. "Jetzt ist der Krieg wieder nah und real", sagt Djir-Sarai, "in all seiner Brutalität und Sinnlosigkeit." In der Ampelkoalition macht auch er Druck auf Kanzler Olaf Scholz, der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zuzustimmen.

Djir-Sarai nimmt für sich in Anspruch, stets für kritischen Dialog mit Russland eingetreten zu sein, aber früh dessen Aggressivität nach außen und brutalen Umgang mit Kritikern im Innern benannt zu haben. Der Verlust seiner Menschenrechte als Kind hat ihn da zum harten Hund werden lassen, der als außenpolitischer Sprecher der Fraktion etwa 2018 laut Widerworte gab, als die FDP einseitige Sanktionslockerungen diskutierte. Und wenn sogenannte Querdenker heute von Corona-Diktatur faseln, geht er mit seiner eigenen Erfahrung hart dagegen.

Als junger Mann war er begeistert, wie ein neuer Bundestagsabgeordneter namens Cem Özdemir ihm als Einwandererjungen das Gefühl vermittelte, auch er könne diese Gesellschaft mitgestalten. Warum er damit nicht bei den Grünen, sondern den Liberalen anfing, erzählt Djir-Sarai auf der Fußgängerbrücke hinüber zum Kanzleramt. "Der Name des deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher war mir schon im Iran ein Begriff – ich wusste zwar damals nicht, in welcher Partei er war, aber die musste es dann sein." Am Tag nach der Einbürgerung füllt er den Mitgliedsantrag aus, ohne an eine Politikkarriere zu denken: "Ich habe diesem Land alles zu verdanken und wollte etwas zurückgeben."

Die Ernüchterung, die folgte, will er als Generalsekretär künftig anderen ersparen. "Statt der Demokratie weltweit zum Sieg zu verhelfen, ging es im Ortsverein Grevenbroich erst einmal um Parkplatzmanagement und die Innenstadtverschönerung", sagt Bijan Djir-Sarai und lacht. "Ich habe das sehr gern gemacht, aber es schreckt auch Menschen vom politischen Engagement ab, wenn sie unabhängig von ihrem Interesse immer kommunal anfangen und sich quasi parteiintern erst einmal zu ihren Herzensthemen hocharbeiten müssen – das will ich verändern." Eine "Mitmachpartei" soll die FDP werden.

Aber jetzt ist erst einmal Krisenmodus angesagt, in der Ampel rumort es wegen der Waffenlieferungen. Dazu stehen die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in seinem Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen an, in beiden Fällen will die FDP ihre Beteiligung an den jeweiligen Landesregierungen verteidigen. Ein Selbstläufer wird das nicht. Klar erwähnt Djir-Sarai eine Umfrage, die seine Partei im Bund bei zwölf Prozent sieht. Es gibt aber auch eine mit acht. Am Kanzleramt angekommen, ist er nun im doppelten Sinne. Der erste Koalitionsausschuss, an dem er teilnahm, fand am Vorabend des Krieges statt, der zweite ging bis in die frühen Morgenstunden.

Djir-Sarai, eher ein Schwarz-Gelber, gibt zu, bisher "sehr positiv überrascht" von der eigenen Koalition zu sein. Ein Zuckerschlecken ist es aber nicht: "Die Ampel ist eine Herausforderung, die vor einem Jahr noch unvorstellbar war – und als wäre es mit so verschiedenen Parteien nicht schon schwierig genug, hatten wir vom ersten Tag an mit zahlreichen Krisen zu kämpfen."

HINTERGRUND

Bundesparteitag: FDP fordert schwere Waffen

Die FDP hat in der Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine den Druck auf den Koalitionspartner SPD erhöht. Ihr Bundesparteitag verabschiedete am Samstag mit großer Mehrheit einen Antrag, in dem gefordert wird, das Land in seinem Abwehrkampf gegen Russland auch mit schweren Waffen zu unterstützen. Parteichef Christian Lindner stärkte dem in der Kritik stehenden Kanzler Olaf Scholz (SPD) zwar den Rücken: "Der Bundeskanzler hat das Vertrauen der FDP und auch ihrer Fraktion im Deutschen Bundestag." Zugleich betonte der Bundesfinanzminister: "Die Ukraine benötigt militärische Hilfe und schwere Waffen." Sein Vize Wolfgang Kubicki griff aber die SPD an und machte sie für die internationale Kritik an der zögerlichen Haltung Deutschlands verantwortlich. Lindner war digital aus Washington zugeschaltet, wo er wegen einer Corona-Infektion in Isolation ist. Er hat nach eigenen Angaben nur milde Symptome. In seiner rund 40-minütigen Rede warf Lindner der Union wegen ihrer Absicht, in dieser Woche einen Antrag auf Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine in den Bundestag einzubringen, ein "gefährliches Spiel" vor. Hier werde offensichtlich versucht, die Regierungskoalition in Schwierigkeiten zu bringen und damit die Regierung zu destabilisieren. "Um es klar zu sagen: In Zeiten von Krieg in Europa habe ich für diese Form parteipolitischer Manöver keinerlei Verständnis."

Der Finanzminister warnte zudem vor den wirtschaftlichen Folgen des Krieges. Deutschland müsse sich einer "Stagflation" – einer schwächer laufenden Wirtschaft bei wachsender Geldentwertung – entgegenstellen. Sonst riskiere man schnell eine tiefergehende Stabilitätskrise.

Die Parteispitze verteidigte auch den Corona-Lockerungskurs der FDP, für den diese viel Kritik einstecken musste. Bundesjustizminister Marco Buschmann sagte, die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes seien richtig gewesen. Heute wisse man: "Es war verantwortbar, diese Schritte zu gehen."

Ressort: Deutschland

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