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Nichts will mehr gelingen

  • dpa &

  • Do, 23. November 2023
    Nationalelf

     

Die Fußball-Nationalelf ist unter Julian Nagelsmann nicht besser als unter Hansi Flick. Der Bundestrainer sucht nach dem Wirkungstreffer in Wien nach Antworten. In dieser Verfassung dürfte bei der Heim-EM 2024 schnell Schluss sein.

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Hilflos wie ein Käfer liegt hier der deutsche Kapitän Ilkay Gündogan auf dem Rücken, Xaver Schlager zieht vorbei. Foto: JOE KLAMAR (AFP)
Julian Nagelsmann hat in seiner Karriere schon tiefe Krisen erlebt. Der ganzen Fußball-Nation zu erläutern, warum das einst liebste Kind gut ein halbes Jahr vor der Heim-EM wieder am Boden liegt, fiel dem Bundestrainer aber sichtlich schwer. "Abgeschwächt und kryptisch", räumte der 36-Jährige ein, sei seine Analyse des schwer ernüchternden 0:2 im Wiener Spätherbst gegen den erstarkten Nachbarn Österreich – zum Schutz seiner Spieler um den mit Frust-Rot vom Platz geflogenen Leroy Sané (siehe Artikel unten) und möglicherweise auch aus Selbstschutz. Eklatant blieb trotzdem: In dieser deutschen Nationalmannschaft stimmt wenig bis nichts.

"Jetzt kann man natürlich sagen, ich schmeiße im März wieder alles um und mache eine ganze andere Idee", sagte Nagelsmann spät am Dienstagabend im Ernst-Happel-Stadion, und das klang danach, als sei das Eingeständnis eines falschen Plans für seine ersten zwei Monate tatsächlich eine Option. "Oder wir sagen, wir gehen den Weg weiter und versuchen, eher den Weg einer Spitzenmannschaft zu gehen." Spitzenmannschaft?

Fast genau ein Jahr nach der folgenschweren Auftaktniederlage bei der Katar-WM gegen Japan (1:2) ist die DFB-Auswahl weit davon entfernt, auch nur zum erweiterten Favoritenkreis für das Heim-Turnier zu zählen. "Es ist viel vorgefallen in den vergangenen Jahren, das braucht man nicht wegzudiskutieren", so Angreifer Niclas Füllkrug, dessen Appell klang, als glaube er daran: "Wir müssen unseren Mann stehen, Brust rausnehmen und den Kopf hochnehmen und marschieren, marschieren, marschieren." Nur wird die deutschen Fans relativ wenig interessieren, was Nagelsmann und seine Spieler in der langen Länderspielpause bis März als Marschroute vorgeben.

In Wien und in den sozialen Medien kassierte die deutsche Auswahl Häme und Kritik, Stand jetzt müssen Wetter und gute Laune für EM-Stimmung sorgen – zumal bei der Auslosung am 2. Dezember in Hamburg eine wenig motivierende Gruppe mit den Niederlanden und Europameister Italien droht. Tennis-Ikone Boris Becker verbrachte den Abend vor seinem 56. Geburtstag offensichtlich auch vor dem Fernseher und konstatierte: "Eine gewisse Sprachlosigkeit ist eingetreten."

Tagelang war nach dem 2:3 gegen die Türkei über Nagelsmanns Taktik-Volte mit Kai Havertz als einer Art "fliegender" Linksverteidiger debattiert worden, da waren sie wieder, die 80 Millionen Bundestrainer. Nur war der gescholtene 24-Jährige in beiden November-Spielen gar nicht das Problem, Havertz spielte seine Rolle nicht schlecht. Das Manko bleibt die konfuse Abwehrarbeit mit individuellen Fehlern und "absurd" (Nagelsmann) vielen Ballverlusten, die auch der neue Bundestrainer nicht in den Griff bekommt.

"Ich will jetzt langsam rauskommen aus dieser Opferrolle, wie schlecht alles die vergangenen Jahre war und wie wenige Spiele wir gewinnen, und, und, und", sagte Nagelsmann und deutete verklausuliert an, wohin der Weg bis März gehen könnte: "Am Ende geht es für uns ein bisschen um das Bewusstsein der Situation und um die richtige Auswahl der passenden Spieler, die vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt weniger gut passen würden, aber zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht einen Tick besser passen in dem Statuts, in dem sich die deutsche Nationalmannschaft aktuell befindet."

Mit Ausnahme des tapferen Kevin Trapp, der als Ersatz für Marc André ter Stegen im Tor gegen Österreich Schlimmeres verhinderte, erreichte kein Spieler die Form, die ihm im Verein nachgesagt wird. Abseits der Spiele sei sein Team zwar eine "sehr geschlossene Gemeinschaft mit einem unglaublich guten Miteinander", so Nagelsmann. Im Spiel seien aber noch "zu viele Einzelkämpfer" zu sehen. Sportdirektor Rudi Völler mahnte, "die Art und Weise, das ist nicht schön, das können wir uns nicht gefallen lassen, und das muss auch besser werden".

Das Grundproblem, wo und wie Joshua Kimmich spielen soll, versuchte Nagelsmann in Wien zunächst mit dem Bankplatz für den 28-Jährigen zu lösen. Leon Goretzka spielte dafür zwar defensiv umsichtig, aber auch überhaupt nicht mit Ilkay Gündogan zusammen, dessen Stammplatz mehr durch die Kapitänsbinde als durch Leistung gerechtfertigt war. Antonio Rüdiger fiel als Abwehrchef wieder mit Aussetzern auf, Mats Hummels zeigte Routine und Erfahrung, ist aber zu langsam. Und deutlicher als gegen die Türkei fehlte jede Balance zwischen Offensive und Defensive.

Nagelsmann führte die Hände zu den Schläfen, als er erklären wollte, was hinter seinen Überlegungen steckt. "Grundsätzlich ist die Denkweise eines Trainers nicht: Ich habe eine Idee und die knalle ich auf eine Mannschaft, sondern wir schauen uns natürlich an, was haben wir für Spieler?", sagte er. Dann berichtete er, dass es möglicherweise "fünf Sechser" und "fünf Zehner" gebe, aber nur anderthalb Stürmer und höchstens einen halben geeigneten Linksverteidiger.

8,197 Millionen Menschen sahen im Durchschnitt das Länderspiel am Dienstagabend, das im ZDF übertragen wurde.

Ressort: Nationalelf

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